Verhandlungen führen mit dem Harvard Konzept

In Verhandlungen endlich die Überhand gewinnen.

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Verhandlungen führen mit dem Harvard Konzept

Ein jeder Mensch hat es schon einmal getan. Mit Freunden, Bekannten, Fremden, ja sogar mit den eigenen Eltern. Sie haben es vielleicht schon erkannt: Die Rede ist vom Verhandeln.

In diesem Beitrag wollen wir uns anhand eines Beispiels eine erfolgreiche Verhandlung ansehen und das Konzept der Harvard Methode anwenden.

Warum verhandeln?

Egal, ob wir als Kinder über die Schlafenszeit, als Führerscheinneuling über den Preis unseres ersten Autos oder als leitender Einkäufer die fortlaufenden Konditionen unserer Zulieferer verhandeln. Wir haben dabei immer das Ziel vor Augen: Die für uns besten Konditionen herauszuschlagen. Warum sollten wir uns auch mit weniger zufrieden geben, als wir bekommen können?

Ein Gedankenspiel

Nehmen wir den letztgenannten Fall als Beispiel. Wir sind Teil der Einkaufsabteilung einer Firma und sollen mit einem neuen Teilelieferanten die Konditionen für einen Partnervertrag aushandeln. Wir möchten möglichst viel Ware für einen möglichst geringen Preis kaufen, um günstig produzieren zu können und so die Gewinnspanne zu erhöhen. Es handelt sich akut um eine Bestellung für die Nullserie von 500 Einheiten und eventuellen Zukunftsverträgen für neue Produkte. Der neue Zulieferer weiß aktuell nur von den 500 Einheiten.

Leider hat unser Teilelieferant ein sehr ähnliches Ziel. Er möchte die für sich besten Konditionen erreichen und einen möglichst hohen Preis ansetzen, da er dann einen guten Umsatz und infolgedessen viel Gewinn erzielt.

Dadurch kommt ein Interessenskonflikt zustande und beide Parteien versuchen, eine Lösung für das Problem zu finden. Verfolgen wir nun zwei von denkbar vielen möglichen Lösungswegen.

Variante 1

Jeder erkennt im Interessenskonflikt nur sein eigenes Problem. Der Lieferant will seine Grenze von 50€/Einheit auf keinen Fall unterschreiten und verharrt auf seiner Preisposition.

Unser Einkaufsteam wiederum hat sich eine Grenze bei 20€/Einheit gesetzt, die es vehement zu verteidigen gilt.

Es wird gefeilscht, gedroht und vielleicht sogar beleidigt. Dennoch finden beide Vertragsparteien keine Einigung, weil Sie nur an ihren festgesetzten Zielen, Preisvorstellungen und Wunschbilanzen festhalten.

Niedergeschlagen macht sich unsere Abteilung auf die Suche nach einem etwas "verständnisvolleren" Partner...

Das Kernkonzept der Harvard-Methode

Roger Fisher und William Ury waren Professoren an der Harvard Law School sowie Mitbegründer des Harvard Negotiation Project. Sie entwickelten das Harvard-Konzept und veröffentlichten 1981 das zugehörige Buch "Getting to YES", welches im deutschen Sprachraum als "Die Harvard Methode" seit langem als Standardwerk für Verhandlungsmethoden gilt.

Sehen wir uns erst einmal die Kernaussagen des Buches an, bevor wir versuchen unser Problem mithilfe der Harvard Methode zu lösen.

1. Trennung der Beziehungsebene von der Sachebene

Gemeint ist das Bewusstsein darüber, dass Sie in einer Verhandlung nicht nur über eine Sache verhandeln, sondern gleichzeitig an der Beziehung mit dem Verhandlungspartner arbeiten. Um eine fortwährende gewinnbringende Partnerschaft nicht in Gefahr zu bringen, sollte das Verhandlungsergebnis als gemeinsame Lösung eines gemeinsamen Problems betrachtet werden und nicht der Vertragspartner als Problem ins Visier genommen werden.

Sie sollten versuchen, die Gründe, weshalb ihr Partner auf seinem Standpunkt steht, zu verstehen und dennoch sehr eindeutig ihren Standpunkt vertreten. Hier ist Sachlichkeit und Objektivität gefragt. Durch einen freundlichen und respektvollen Umgang miteinander lassen sich unter diesen Umständen gemeinsam alternative Lösungen finden. "Seien Sie hart in der Sache und sanft gegenüber den Menschen.", heißt es im Buch der beiden Professoren.

2. Sie vertreten Ihr Interesse, nicht Ihre Position

Um in den Lösungsansätzen nicht stark beschränkt zu sein, sollten Sie nicht Ihre Position, sondern Ihre Interessen verhandeln. Die Position ist zum Beispiel ein Preis oder eine Anzahl von Gütern, also das "was", um welches sich die Verhandlung dreht. Das Interesse dagegen offenbart den Grund Ihres Handelns, also das "warum" ihrer Handlungsweise.

Seien Sie offen über ihre Interessen und erfragen Sie die Interessen ihrer Partner. So entsteht Empathie und im gleichen Atemzug viel weniger Konfliktpotenzial.

3. Entwerfen Sie Lösungsoptionen für beide Parteien

Sie müssen sich nicht gleich auf eine Lösung einigen. Erörtern Sie gemeinsam mehrere Lösungsmöglichkeiten. Ein Brainstorming zur Sammlung aller Wünsche kann ihnen dabei helfen. Anschließend überlegen Sie sich, wie Sie die gesammelten Wünsche beider Parteien in verschiedenen Varianten kombinieren.

Abbildung 1: Brainstorming für Lösungsansätze

Auf diese Weise haben Sie gute Chancen eine Einigung zu finden, mit der nicht nur beide Seiten einverstanden sind, sondern auch beide als Gewinner hervorgehen. Diese Win-Win Situation möchte die Harvard Methode in Verhandlungen herbeiführen.

4. Objektive Kriterien führen zur Einigung

Um nicht ins beziehungsschädigende Feilschen über Cents und Pennys zu geraten, ist es vorteilhaft, dass Sie bei der Gewichtung von Argumenten oder dem Wert der einzelnen Wünsche nicht auf das persönliche Empfindungsvermögen, sondern allgemein anerkannte objektive Standards zurückgreifen. Damit gemeint sind unter anderem:

  • Marktvergleiche
  • Von unabhängiger Stelle erstellte Gutachten
  • Normen
  • Staatlich rechtliche Regularien
  • Ein unparteiischer Mediator

Die Objektivität dieser Standards erhöht die Akzeptanz und das Empfinden von Fairness einer möglichen Lösung.

Wenn das alles nicht hilft

Was, wenn der Verhandlungspartner nicht mitspielt? Eiskalte Geschäftsleute, die einem keinen Zentimeter Boden lassen oder Dickköpfe gibt es überall. Sollten Sie wirklich keine Möglichkeit sehen, eine gute Einigung zu finden, müssen Sie ihre Grenzen kennen. Die Harvard Methode sieht dafür einen letzten großen Joker vor, das BATNA.

BATNA steht hier für "Best Alternative To Negotiated Agreement" und bedeutet übersetzt: "Beste Alternative anstelle einer ausgehandelten Einigung".

Sie sollten sich schon vor den Verhandlungen eine oder mehrere Alternativen überlegen, falls Sie zu keiner Einigung mit ihrem Verhandlungspartner kommen. Dies sorgt für mehr Selbstsicherheit in der Verhandlung und - sollte es so weit kommen, dass Sie ihre BATNA einsetzen müssen - von Professionalität.

Abbildung 2: Ablauf einer Verhandlung mit BATNA

Nutzen Sie ihre BATNA, wenn Sie das Gefühl bekommen, dass Sie aus der Verhandlung mit schlechteren Ergebnissen als Ihre BATNA hervorgehen würden. Beachten Sie aber, dass ihr Gegenüber evtl. auch eine BATNA vorbereitet hat.

Beispiel - Variante 2

Wollen wir nun unser Beispiel Mithilfe der Harvard Methode neu aufrollen.

In Variante 1 ging es um die Position des Preises von 20€/Einheit. Unser Interesse wiederum ist eigentlich, einen sehr zuverlässigen Lieferpartner zu finden, der uns auch bei eventuell kurzfristigen Bestellungen priorisiert behandelt.

Vor dem Verhandlungstag einigt sich unsere Abteilung auf eine BATNA: Sollte der Lieferant absolut nicht an einer längeren Zusammenarbeit interessiert sein oder den Anschein erwecken, nicht zuverlässig liefern zu können, werden wir ihm für diese Bestellung 32€/Einheit bieten, sowie eine zweite Bestellung für ein anderes Projekt mit größerer Gewinnspanne für den Lieferanten.

Die Verhandlung beginnt. Der Verkäufer des Lieferanten wird von drei unserer Mitarbeiter mit einem Kaffee oder Tee herzlich begrüßt und nach seiner Anreise gefragt. Wir teilen dem Verkäufer unser Interesse mit, in ihm einen Partner für unsere neue Produktserie zu finden. Wir beteuern, dass wir in diesem Projekt leider etwas budgetgebunden sind, was aber nicht der Regelfall in unserem Hause ist. Da wir kurz vor Produktionsstart stehen, erfragen wir, ob die Lieferung der 500 Einheiten in bereits 3 Wochen bei einem Zusammenkommen möglich wäre.

Der Verkäufer erwidert, dass dies einen enormen Organisationsaufwand bedeuten würde und er einen Aufschlag für das kurze Zeitfenster verlangen müsste. Er veranschlagt 50€/Einheit.

Wir staunen nicht schlecht bei seiner Aussage, da wir im Vornherein den Marktpreis für unsere Bauteile überprüft haben, wollen uns aber nicht auf ein Feilschen des Preises einlassen. Wir fragen, warum er den Preis so hoch ansetzt und ob der Zuschlag unbedingt notwendig ist.

Als Antwort erfahren wir, dass die Produktionsleitung der Lieferfirma gerade damit beschäftigt ist, eine neue Fertigungslinie zu planen, da eine neue Halle gebaut wird. Somit steht die Produktionsleitung nur begrenzt zur Verfügung.

Da dies nach einer Erhöhung der Produktionskapazitäten klingt, erfragen wir, ob die Kapazität der neuen Linie denn schon verplant sei und erfahren wiederum, dass diese erst zu 40 % vergeben sei.

Daraufhin geben wir die Information preis, dass wir weitere Produktreihen in der Planung haben, deren Bauteile wir bei ihm beziehen könnten und sichern ihm weitere Verträge zu, wenn er uns im aktuellen Projekt mit Preis und Lieferzeit entgegenkommt. Um vorerst produzieren zu können, würden uns auch bereits 200 Einheiten für zwei Wochen ausreichen. Dann erst werden die letzten 300 benötigt.

Leider reicht dem Verkäufer diese Aussage nicht aus, da er etwas Konkreteres benötigt. Daraufhin bieten wir ihm an, nicht nur diese Bestellung bei ihm zu tätigen, sondern einen Kooperationsvertrag zu schließen, der eine langfristige Partnerschaft und für beide Firmen einen langfristigen Gewinn bedeutet. Da wird der Verkäufer hellhörig, da ihm aufgetragen wurde, weitere Kunden für die neuen Produktionskapazitäten zu finden.

Der Vertrag würde für uns mit einer Priorisierung der Bestellungsbearbeitung auch bei kurzfristigen Prototypbestellungen einhergehen und für den Lieferanten langfristig Gewinne und Arbeit sichern. Die Bedingung ist die erfolgreiche Erledigung der derzeit benötigten Bestellung von 200 Teilen in 3 Wochen und der restlichen 300 Teile innerhalb der nächsten 2 Wochen.

Wir einigen uns auf 28€/Einheit und verabreden uns zur Besprechung eines Kooperationsvertrages.

Fazit

Wir haben nun anhand dieser fiktiven Verhandlung gesehen, dass es durchaus Sinn machen kann, die Gründe und Interessen des Verhandlungspartners zu hinterfragen. Wir haben den Verkäufer freundlich behandelt und uns mit seinem Problem auseinandergesetzt. Der direkten Positionsverhandlung sind wir durch Interessenshinterfragung aus dem Weg gegangen und haben eine Lösung für beide Seiten finden können. Wir haben als allgemein bekanntes Instrument den Kooperationsvertrag genutzt, um zu einer objektiv fairen Einigung zu kommen.

Dennoch können wir uns glücklich schätzen, dass der Verkäufer so entgegenkommend war und wir nicht unsere BATNA verwenden mussten. Aber dies war zum Glück auch eine relativ einfache Verhandlung. Meinen Sie nicht?

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